Montabaur - „Indem wir die Selbsthilfe, die Bestätigung der eigenen Kraft, die Verantwortlichkeit für das eigene Geschick als Wirtschaftsprinzip proklamieren, stehen wir mitten in der Gesamtheit für die großen Aufgaben unserer Zeit", war die Grundidee Friedrich Wilhelm Raiffeisens. Doch ist diese Idee, die das genossenschaftliche Wirken maßgeblich bestimmt, heute noch aktuell?
Das wollte die gerade mal ein knappes Jahr alte Deutsche Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft bei einen Festakt anlässlich des 125. Todestages des Westerwälder Sozialreformers herausfinden – unter anderem mit einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion, die Theresia Theurl, Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen der Uni Münster, mit einer Frage einleitete: „Leben die Ideen von Raiffeisen noch?"
„Klar", antwortete Bernhard Meffert, Schulleiter des Raiffeisen-Campus in Wirges, der im Raiffeisen-Wirkungsort Flammersfeld lebt, „sie sind mir von morgens bis abends im Bewusstsein." Holger Backhaus-Maul, Soziologe von der Uni Halle-Wittenberg, stellte fest: „Das Thema ist hochmodern und interessiert besonders die Bürger, die heute hochengagiert sind." Gerhard Wegner, Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche Deutschlands, fasziniert, dass der Sozialreformer den Spagat zwischen Altruismus und Egoismus auf die Reihe gebracht hat und eine „intelligente Nächstenliebe" praktizierte.
Für Julian Nida-Rümelin, Staatsminister a. D. und Philosophieprofessor an der Uni München, sind die von Raiffeisen initiierten Genossenschaften ein Teil unserer Kultur und der ökonomischen Praxis. Insbesondere in den urbanen Milieus wünschte er den Ideen des Reformers weitere Verbreitung.
In seiner Begrüßung hatte der Vorstandsvorsitzende der Raiffeisen-Gesellschaft, Werner Böhnke, festgestellt, dass das Genossenschaftswesen eine Renaissance erlebe: Allein in Deutschland gibt es mehr als 7500 Genossenschaften mit 20 Millionen Mitgliedern. Gemeinsam mit vielen weiteren Akteuren will er erreichen, dass die Wirkungsstätten Raiffeisens in Hamm/Sieg, Flammersfeld, Weyerbusch und Neuwied-Heddesdorf bekannter werden, gemeinsam werben und dadurch mehr Besucher kommen. Bundestagspräsident Norbert Lammert ging in seinem Festvortrag davon aus, dass es für Raiffeisen sicher unvorstellbar gewesen wäre, dass die Finanzwelt von allen anderen Wirtschaften abgekoppelt ist. Er merkte kritisch an, dass es mit der Spreizung der Einkommen und Vermögen durch die virtuellen Geldmärkte nicht so weitergehen dürfe. Er betonte aber auch, dass das genossenschaftliche Bankensystem mit Abstand am besten durch die Finanzkrise gekommen sei. Genossenschaften seien eine gute Möglichkeit, die Probleme der Zukunft zu lösen.
Josef Sanktjohanser, Präsident des Handelsverbandes Deutschland, will jederzeit und honorarfrei vom Leben in den Genossenschaften berichten und bei Bedarf auch als Pate für Neugründungen zur Verfügung stehen. Bürgermeister Josef Zolk (VG Flammersfeld) bat namens der Gesellschaft den Bundestagspräsidenten abschließend, sich dafür starkzumachen, dass zum 200. Geburtstag von Raiffeisen in fünf Jahren die Post eine Sondermarke herausgibt.
Von unserem Redaktionsleiter Markus Müller