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Prügel: Dienstverbot für vier Westerburger Polizisten

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Westerwaldkreis - Die vier Polizeibeamten, die in Westerburg einen am Boden liegenden Festgenommen geschlagen, getreten oder dabei tatenlos zugesehen haben, sind jetzt vorläufig aus dem Dienst entfernt. Das Verbot, weitere Amtsgeschäfte auszuüben, hat Polizeipräsident Horst Eckhardt am Freitag verhängt. Die Beamten mussten ihre Waffen abgegeben.

Nach Bekanntwerden der Gewaltszenen hatte der Polizeipräsident die Beamten zunächst nur von Westerburg/Westerwald zu anderen Dienststellen in den Innendienst versetzt. Das Präsidium erklärte dann am Freitag: "Nach eingehender Prüfung der mittlerweile vorliegenden Erkenntnisse wurde den Beamten bis zur endgültigen und umfassenden Klärung der Vorfälle und deren Umstände, ein vorläufiges Verbot der Führung der Dienstgeschäfte auferlegt, was einer vorläufigen Diensterhebung gleichkommt." Eine abschließende disziplinarrechtliche Entscheidung folge erst nach Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Eine andere Entscheidung als das Dienstverbot hätte mit Blick auf andere Fälle im Land auch erstaunt. Die vier aus dem Dienst entfernten Beamten werden intern als erfahren und nicht als Berufsanfänger beschrieben.

Der gewaltsame Übergriff auf einen Festgenommenen war erst über das Handyvideo eines Augenzeugen bekannt geworden, dass unsere Zeitung veröffentlichte. Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz gegen zwei Beamte wegen des Verdachts der Körperverletzung und gegen zwei Beamte wegen Strafvereitelung im Amt. Polizeipräsidium wie Staatsanwaltschaft hatten erst durch unsere Zeitung von dem Übergriff erfahren, der sich bereits am 22. Mai in Westerburg ereignet hatte. Mit der Aufklärung des Falls sind zwei Beamte aus Betzdorf betraut worden. Weitere Informationen zu den Hintergründen des Übergriffs gab die Staatsanwaltschaft am Freitag nicht.

Nach den auf dem Video dokumentierten Schlägen gegen einen liegenden Mann warnt die Gewerkschaft der Polizei vor "Vorverurteilungen und Verallgemeinerungen", weil die Bilder nur "ein Ausschnitt des Geschehens" erfassen. Gleichwohl ist der Landesvorsitzende Ernst Scharbach im Gespräch mit unserer Zeitung auch entsetzt über die von Augenzeugen dokumentierte Gewalt. "Die Überreaktion ist nicht akzeptabel", sagt er. Die Hintergründe dafür kennt auch er nicht, weiß aber aus eigener Erfahrung: Es komme immer wieder vor, dass Menschen bei der Festnahme Beamten ins Gesicht spucken oder damit drohen, sie mit Aids oder Hepatitis anzustecken. "Dann fühlt man sich als Polizist sehr schlecht und entwürdigt." Damit will er die Gemütslage betroffener Kollegen schildern, aber den Übergriff nicht entschuldigen. "Das geht nicht", sagt er mit Blick auf die Bilder. Bevor die ermittelnden Betzdorfer Kriminalisten und die Staatsanwaltschaft Koblenz den Fall nicht aufgeklärt haben, kann sich Scharbach auch nicht erklären, warum zwei Polizeibeamte nicht eingegriffen haben, als neben ihnen die Kollegen den Mann am Boden geschlagen und getreten haben. Sie sollen danach auch geschwiegen haben, aus falsch verstandener Kameradschaft oder auch aus anderen Gründen.

Nach den Worten des Gewerkschaftschefs gibt es in Rheinland-Pfalz "vorbildliche" Programme, mit denen der richtige Umgang mit Stress und Konflikten trainiert werden kann. Aber mit der "dünner Personaldecke komme "die Fortbildung oft zu kurz", zumal auch der Umgang mit der Waffe, Amoklagen und Fahrsicherheit trainiert werden müsse. "Da stößt man schnell an personelle Grenzen", erklärt Scharbach. Und mit dem neuen Doppelhaushalt "steht die nächste Sparrunde schon wieder an". Damit erwartet er weitere Kürzungen auch bei der Fortbildung.

Unterdessen hat sich ein weiterer Informant bei unserer Zeitung gemeldet. Er behauptet, dass vier Zeugen auf einer Außentreppe des gegenüberliegenden Katasteramtes den Vorfall beobachtet hätten, während sie dort ihre Raucherpause eingelegt hatten. Keiner dieser Zeugen habe sich getraut, eine Anzeige zu erstatten, erzählt der Mann. Die ermittelnden Beamten in Betzdorf wollen der Sache nachgehen.

Der Westerburger Bürgermeister Ralf Seekatz hat im Stadtrat eine kurze Stellungnahme zu dem Vorfall abgegeben. Es sei höchst unerfreulich, wenn Westerburg so negativ in die Schlagzeilen komme.: "Aber wir sind gut beraten, keine Vorverurteilung vorzunehmen und erst einmal die Ermittlungen abzuwarten." Ein pensionierter Polizeibeamter, der 38 Jahre lang in Rheinland-Pfalz im Dienst war, schreibt uns: "So was habe ich noch nicht gesehen!" Zwar müssten Beamte etwaigen Widerstand bei einer Festnahme brechen, aber: "Der Mann auf dem Video leistet keinen aktiven Widerstand mehr, er ist wehrlos und der Willkür der Beamten überlassen."

Unterdessen fordern die Jungen Liberalen von Innenminister Roger Lewentz eine Dienstanweisung, wonach die Polizei Zeugen nicht am Dokumentieren (Fotografieren/Filmen) von Polizeieinsätzen hindern darf. Es komme immer wieder vor, dass filmende Zeugen von der Polizei auch eingeschüchtert werden, sagte Juli Landesvorsitzender Nicolas Katte. Für ihn ist das Video von Westerburg "ein wichtiges Beweismittel und ein Zeichen von Zivilcourage". Da es aus Distanz gedreht worden sei, "konnten die Aufnahmen nicht verhindert werden".

Von unseren Redakteuren Ursula Samary und Andreas Jöckel


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